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Ein Abschied

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Unter den angekommenen Briefen liegt eine Todesanzeige: Eine frühere Freundin unserer Familie ist 80-jährig verstorben. Obwohl ich Margrit seit Jahren nicht mehr gesehen habe, verspüre ich das Bedürfnis an ihrer Trauerfeier teilzunehmen.

In der Kirche

Den Trauergottesdienst in der grossen bis auf dem letzten Platz gefüllten Kirche leitet eine Pfarrerin. Mit der Frauen in öffentlichen Diensten eigenen Stimme begrüsst sie die Trauernden. Diese tiefe Stimmlage, diesen be-müht sachlichen Tonfall kenne ich nicht nur von Pfarrerinnen, so reden auch Politikerinnen, Anwältinnen, Richterinnen. Seltsam wie sich die öffentliche Stellung in der Stimme niederschlägt. Doch in der „öffentlichen“ Stimme dieser Pfarrerin schwingt noch etwas anderes mit: Betroffenheit ist hörbar, persönliche Anteilnahme.

Rückblick auf die Jugend

Und so erzählt sie vom Leben der Verstorbenen und weckt in mir Erinnerungen: In einem Berner Pfarrhaus ist Margrit aufgewachsen, in einem dieser prächtigen Berner Pfarrhäuser, stattliche Patrizierhäuser in einem geordneten Garten neben der Kirche stehend, die Autorität des Pfarrers sichtbar verkündend.  Ihre Erziehung umfasste Musik, Literatur, Kunst. Nach Kriegsende arbeitete sie als Sekundarschülerin während der Schulferien im Landdienst auf einem Bauernhof im Zürcher Oberland und lernte hier ihren zukünftigen Gatten kennen.

Das volle Leben

Bei der Heirat treffen Welten aufeinander: Die musisch interessierte Pfarrerstochter heiratet den stürmischen unkonventionellen Bauernsohn, der sich voller Energie und Ideen auch der Politik annimmt und ent-sprechend viele Arbeiten seiner Frau überlässt.  Im gastfreundlichen Haushalt leben neben ihrer Familie die Schwiegereltern, ein Lehrling, die Haushaltlehrtochter. Acht Kinder hat Margrit geboren. Eines ist zweijährig ertrunken, in einem auf der Wiese zur Tränke der Kühe aufgestellten Bottich. Vornüber gebeugt war es da gestanden, das Gesichtlein im Wasser, mit seinem Spiegelbild, das es wohl gesucht hatte, verschmolzen.

Einige Jahre später dann verlor Margrit ein zweites Kind, es nahm sich im jungen Erwachsenenalter das Leben. Und dieser Tod traf sie noch schwerer als der erste, daran trug sie ihr ganzes Leben.

Gottvertrauen

Zeit ihres Lebens sang Margrit im Kirchenchor. Am Klavier begleitete sie die Pfarrerin bei ihren Gottesdiensten in den Aussenwachten, Sonntags-schule hat sie gegeben, viel gearbeitet in Haus, Hof, Garten und Küche. Und immer war sie voll da, ihr ganzes volles Leben, mit aller Freud und allem Leid strahlte aus ihr heraus. Wie nur konnte sie ihr Leben so positiv meistern? In der Kirche sang man die Antwort, das Lied: „Ein‘ feste Burg ist unser Gott.“

Tod

Vor zwei Jahren erlitt Margrit einen Schlaganfall, dessen Folgen sie mit aller Anstrengung nicht bewältigen konnte. Vor zwei Monaten gab sie auf, vielleicht ist sie freiwillig aus dem Leben geschieden.

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