Rubrik: Schicksale /

Eine Familiengeschichte

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Charme aus alten Zeiten umgibt uns im abgelegenen Hotel in den Schweizer Alpen. Die tadellos instand gehaltenen antiken Teppiche, die alten Stiche und Bilder an den Wänden, die weiss gedeckten Tische mit Stoffservietten im Esssaal lassen aber keinerlei Muffigkeit aufkommen. Im Zimmer finden wir eine moderne Nasszelle und Zentralheizung. Wie ist es nur möglich, ein Hotel über 170 Jahre lang den immer wieder wechselnden Zeiten anzupassen? Unsere Nachforschungen ergeben eine interessante Familiengeschichte, stark beeinflusst von welthistorischen Ereignissen, aber immer voll Pioniergeist und Tatkraft.

1840 stellte ein unternehmenslustiger junger Mann ein Gasthaus auf den Bergsattel mit schöner Aussicht. Die Gäste erwartete ein stundenlanger Aufstieg, doch sie kamen. Bald wurde die Wirtschaft mit Hilfe der Alpgenossenschaften zum Hotel ausgebaut. Der Sohn übernahm. Er hatte Quellwasser gesucht und gefunden und leitete bereits damals (in der 2. Hälfte des 19. Jh.) das Abwasser ins Tal. Aus beiden Tälern brachten Maultierkolonnen Gäste und Güter herauf. Erste Bergsteiger waren darunter. Die Gästeschar mehrte sich.

1892 wurde ein neues grosses Hotel dazu gebaut, das dank dem privaten Zahnrad-Bahnbau mit neuen Gästen rechnen durfte. Die Maultiere wurden abgeschafft, eine neue Zeit brach an. Die Alpschaften entschieden sich, ihre Beteiligungen am Hotel für 800’000 Goldfranken (!) an den Hotelier zu verkaufen. Da brach 1914 der erste Weltkrieg aus, die Hotels blieben für 4 Jahre geschlossen.

Als die einzige Tochter heiratete, liess sie sich zusammen mit ihrem Mann in führenden Hotels der Schweiz ausbilden und übernahm das Hotel. Nun wurde eine Zentralheizung eingebaut und auch im Winter geöffnet, denn die Engländer entdeckten den Skisport. Sie unternahmen Felltouren und benützen die 1893 erbauten Bahnen um sich nach einer Abfahrt ins Tal wieder zum Hotel hochbringen zu lassen. Oben sollen sie regelmässig Kondukteure und Lokführer zu einem Drink eingeladen haben.

Das Wintergeschäft liess sich gut an, die Zimmer wurden mit Bädern ausgerüstet, eine Lounge, ein Festsaal gebaut. Allnächtlich spielte ein 4-Mann-Orchester. Die Krise der Dreissiger Jahre war kaum spürbar. Es wurde gar mit dem Bau eines Skiliftes begonnen.

Doch nun brach der 2. Weltkrieg aus. Statt reichen Engländern beherbergte man Schweizer Soldaten in den Wintergebirgskursen. Der Hotelier war inzwischen Nationalrat geworden, sein Tatendrang liess ihn nach dem Krieg die Hotels erneut vergrössern, denn sein Sohn, später dessen Frau, übernahm jetzt die Leitung.

1998 wurde der Betrieb an dessen Neffen, mittlerweile die 5. Generation, verkauft, welcher ihn mit seiner Frau das ganze Jahr offen hält. Nun geniessen vor allem Japaner die einzigartige Lage. Für die beiden schulpflichtigen Töchter des Paares konnte eine Lösung gefunden werden. Zweimal pro Woche fahren die Mädchen ins Tal zur Schule (über 1200m Höhendifferenz!), den Rest des Schulstoffes müssen sie zuhause selbst erarbeiten, was sie anscheinend selbstverständlich und ohne grosse Mühe bewerkstelligen.

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